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Herbsttage

Entstanden: Oktober 2012-Mai 2019

Epilog I
Und plötzlich ist sie wieder da. Die Weißäugige. Erinnerung,
will ich noch sagen, doch unter deiner Blicke Schatten verklingen
Worte ungehört. Wie Gischt im Meer.

Tanzen wollten wir!
In den lauen Sommernächten, weißt du noch?
Da wir des Mondes mächtige Bahnen brachen,
hielt ich dich – hieltst du mich und ohne ein Wort zu sagen.
Heimlichkeit der Herzen! Ja, dies war Augenblick!
Und alles verschenkte sich grenzenlos in Glück
fast als ob der Sommer selbst uns sang.

Bis irgendwann ein Gedanke wie der frühe Herbst
einsam durch die Länder schlich und der Linden Blätter
ahnungsvoll vom Astwerk strich. –


Sing, Muse, sing! Berichte von der Zeit,
da wir noch leichthin träumten
und das dunkle Nachtgespinst mit unserer
Tränen Silber anmutig durchwirkten
im Glauben, die Himmel verfinsterten sich,
wenn des Anderen Kuss unsere salzige Haut
einmal nicht berührte.

Erinnerst Du Dich? Wir hielten einander
die Münder zu, wenn an den Himmeln unserer Rede
das Schicksal aufblitzte und erschauderten
(so wie uns der Wind bisweilen erschaudern lässt,
wenn er in kahles Buschwerk fährt und es wirkt, als sei dort Leben!)

Heute hingegen frag ich mich, wieso wir weinten und hoffe
wir mögen gelassener uns erinnern, wenn gemeinsam wir
dereinst auf dieser Tage Schicksal blicken.


Was fühltest du, als jener Baum,
unter dem die Liebenden einander küssten,
unter dem auch ich dich einst küsste
und unser beider Namen in die Rinde schnitt,
als jener Baum plötzlich seine Blätter warf?

Was dachtest du dort im Blätterregen
als der kahlen Wipfel krumme Hand gen Himmel wies
so als sei es Herbst –
dachtest du da Winter?

Lange standen wir. Sprachlos. Bewegung
ward allein durch der Tränen Spur angedeutet.
Frühling, dachte ich, es ist doch Frühling.
Wie kann das sein?

Muse! Nimm doch die Nacht von deinen Augen
und sieh mich wieder an!
Lass uns tanzen
so wie ehedem.


Ich hatte sie fast vergessen, diese Nächte.
Damals. Als die Himmel sich verdunkelten.
Weißt du noch wie es war in dieser Nacht,
jenem Augenblick der ersten Fassungslosigkeit,
da wir weinend einander in den Armen hielten
den Makel der Vergänglichkeit verdeckend,
der uns tief blicken ließ.
In deinen Augen offenbarte sich mein Schmerz.
Und trotzdem war da auch Trost –
allein in der gemeinsamen Figur,
allein im heißeren Atem unserer Tränen,
war er plötzlich da! Umgab bald dich, bald mich
und hieß uns schlafen. Wie in fremden Betten
träumten wir: unruhig und schwer.


Und das Warten jener Herbstnächte? – Erinnere Dich!
In Stunden des Schweigens lagen wir eng beieinander
um falsch von falsch zu unterscheiden
und der Gedanken schwere Tiefe abzuwägen.
Ich für mich und du für dich.
Den ruhigeren Atem des Anderen im Ohr
waren unsere Sorgen bald Traum, bald wahr
und wir immerfort dazwischen.


Es war, da wir beide,
o mein Herz, uns hielten,
wir weinten
wir schwiegen.
– Allein
dein Auge glänzte feucht
während draußen die Wasser stiegen
weil es Herbst geworden
und selbst die Himmel weinten:
Tränen
voller
tiefer
Trauer.



Du, des Schlafs beraubt, getrübt geliebte Fremde
und alles fern: man erinnert sich,
doch nur wie man im Traum der Dinge gedenkt:
Verloren in den weiten Korridoren hohläugiger Blicke!

Wenn der Stille Schmerz drohte uns zu übersteigen,
lachtest du bloß und immer am lautesten,
als ob es dich nicht anginge,
jedoch blieb dein Auge stumm,
dein Blick inwendig irgendwie:
Kondensierte Tränen auf der Innenseite der Iris
verrieten dich.
Ich habe sie alle gezählt.


Schließlich der Schierling: Erinnere Dich, meine Liebe!
Während draußen der Sturm an den Läden unserer Herzen riss,
tropft es drinnen leise (wie Stille in alten Kirchen).
Wir redeten als ob nichts sei, wie frisch verliebt und dabei ach!
Plötzlich stürzten Blicke ein.
In den Trümmern begegneten wir uns und gingen ein Stück,
doch wir begriffen es nicht und kehrten zurück.


Epilog II
Unter fernen Himmeln hingen einst zwei Silhouetten
irgendwo vom ewig Gestrigen wie zufällig umwölkt.
Dort fand sie der Sonne lichter Wind und trug sie fort!
Wer weiß? Vielleicht mit sich ins All.

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