Skip to content

Vom Pneuma der Gedanken oder Jenseits des Verstehens

Nach allgemeiner Vorstellung sind Gedanken intellektuell mitteilbar. Wir gehen einfach davon aus, dass das Licht unserer Rede niemanden im Dunkel lässt. Dass das Pneuma unserer Gedanken, das gesprochene Wort, sinnhaft ist.
Aber Worte haben eine merkwürdige Tiefe: Nie stehen sie allein für sich, stets sind sie umgeben von einer Vielzahl unausgesprochener Gedanken, die in gewisser Hinsicht immer schon mitschwingen. Manche Gedanken sind dadurch so gehaltvoll, dass sie sich erst gar nicht mitteilen lassen. Dass sie als bloße Leerstelle in einem Ohr verschwinden, nur um durch das andere Ohr wieder ans Licht zu kommen.

Wir haben gelernt damit umzugehen. Haben den Wortsinn eingestampft und reden über das ganz Alltägliche, das Kleine, weil das Große lediglich durch uns hindurchweht wie die Worte eines Gottes, den wir nicht verstehen. Lyrik macht aus dem, was uns gemeinhin als großes Manko erscheint, eine Tugend. Die Frage, ob ein Gedicht bloß klingt, um zu klingen, oder ob ein tieferer Sinn in den Worten verborgen liegt, wird vermutlich in keiner Kunstrichtung so greifbar wie in der Lyrik, einer Gattung, der Sinn unterstellt wird, der aber dort nicht notwendig anzutreffen ist. Vielmehr geht es um die Interpretation fremder Sprachwelten. Wir tauchen ein in fremde Sprachblasen und betrachten Worte, Gedanken, Laute, ohne zu verstehen. Wir ahnen. Wir assoziieren. Wir staunen über fremde Bildwelten und hoffen, irgendwann zu verstehen. Oder wir schreiten einher im Stil einstiger Kolonialherren, bauen Brücken von dieser in jene Welt, nur um zu verstehen. Wir lesen, studieren und ringen um Antworten. – Und warum? Warum dieser Aufwand? Weil wir verstehen wollen. Mehr noch: Weil manche diese Sprachbilder unser Leben so treffend charakterisieren, ohne dass wir verstehen, warum. Weil jene Worte, die uns in der Fremde begegnen, uns ansprechen und weil wir ihnen Gehör schenken. Weil Sie auf die eine oder andere Weise unser Herz oder unseren Intellekt berühren.

Zuletzt haben wir gar ein Gedicht so oft gelesen, dass uns die fremden Worte vertraut klingen. Als ginge zuletzt doch noch ein Samenkorn auf. Als trüge das stete Bemühen, Worte verstehen zu wollen, die vielleicht nur klingen, endlich Früchte. Doch dieser Glaube währt nicht lange. Das Gefühl, endlich zu verstehen, vergeht ebenso schnell wie es begann und zurück bleibt nur eine vage Ahnung. Dass diese Worte wichtig sind. Oder es sein werden. Auch wenn wir vielleicht nie verstehen werden, warum. Diese Worte könnten Gedanken sein. Sie könnten. Oder sie werden auf immer Blume bleiben, und niemals Früchte tragen. Druckerschwärze oder Code. Frucht oder Blume. Sinnhaft oder sinnfrei. Das ist das merkwürdige Geheimnis um Worte in einem lyrischen Kontext: Ein ästhetischer Mehrwert, der immer ungewiss, immer im Vagen bleibt.

Consent Management Platform by Real Cookie Banner